Schmerz wird von der IASP (Association for the Study of Pain) definiert als eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschädigungen verbunden ist oder diesen ähnelt. Schmerzen können in Intensität, Qualität und Dauer variieren und unterliegen unterschiedlichen pathophysiologischen Mechanismen und Bedeutungen. Es stellt daher eine Herausforderung dar, Schmerz prägnant und präzise zu definieren.
Die Anzahl der Patientinnen und Patienten mit einer Schmerzdiagnose in Deutschland beläuft sich Schätzungen zufolge auf 37,4 Millionen, also etwa 46 Prozent der Bevölkerung. Der Anteil der Patienten mit beeinträchtigenden chronischen Schmerzen liegt bei 7,3 Prozent. Das Ergebnis einer österreichischen Gesundheitsbefragung aus 2014 ergab, dass circa 20 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher an chronischen Schmerzen leiden. Internationale Studien zeigen die enormen Auswirkungen von Schmerzen auf das psychische Wohlbefinden, das Familien- und Arbeitsleben sowie die Möglichkeiten der sozialen Partizipation. Entsprechend der großen gesundheitspolitischen und auch sozioökonomischen Relevanz stellen Präventionsmaßnahmen einen wirksamen therapeutischen Ansatz dar. Der frühe Einsatz von Präventionsstrategien soll eine Chronifizierung von Schmerzen verhindern. Maßnahmen zur Schmerzprävention können in jedem Stadium getroffen werden, es werden in diesem Kontext verschiedene Strategien unterschieden. Primärpräventive Maßnahmen sollen das Auftreten von Schmerzen verhindern. Die Sekundärprävention soll den Übergang akuter Schmerzen in ein chronifiziertes Stadium limitieren, und die Tertiärprävention beinhaltet Maßnahmen, die Beeinträchtigungen und Langzeitfolgen von Schmerzen verringern sollen. Die Quartärprävention inkludiert Möglichkeiten zur Verhinderung irrelevanter Medizin.
Schmerzen entstehen als Folge einer Aktivierung von Nozizeptoren (nozizeptive Schmerzen) oder durch eine Schädigung der nozizeptiven Nervenbahnen (neuropathische Schmerzen). Die Unterscheidung zwischen diesen Schmerzarten beeinflusst in weiterer Folge den Behandlungsplan. Nozizeptiver Schmerz entsteht nach chirurgischen Eingriffen, akuten traumatischen Verletzungen und steht im Zusammenhang mit einer Reihe von muskuloskelettalen und viszeralen Erkrankungen, die entzündliche, ischämische, infektiöse oder mechanische/komprimierende Verletzungen beinhalten. Ein neuropathischer Schmerz resultiert aus einer inadäquaten Reaktion auf eine Schädigung oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems und besteht aus einer zentralen und/oder peripheren Störung der Schmerzmodulation.
Aufgrund zahlreicher Fortschritte in vielen Bereichen der Schmerzforschung und Bemühungen im Rahmen der ICD-11-Klassifikation wurde 2017 der Begriff „noziplastischer“ Schmerz definiert, um Schmerzen zu beschreiben, die nicht vollständig durch eine Gewebeverletzung (nozizeptiver Schmerz) oder eine Nervenverletzung oder -erkrankung (neuro-
pathischer Schmerz) erklärt werden können. Noziplastischer Schmerz wird von der IASP als Schmerz beschrieben, der aus
einer veränderten Nozizeption resultiert, ohne Hinweise auf eine, zum Zeitpunkt der Diagnose bestehende, tatsächliche oder drohende Gewebeschädigung. Es handelt sich hier also vielmehr um eine Dysfunktion des somatosensorischen Systems, die u.a. beim komplex regionalen Schmerzsyndrom (CRPS)
Typ I, bei Fibromyalgie oder auch beim irritablen Darmsyndrom diskutiert wird. Liegt eine Kombination mehrerer Mechanismen vor, spricht man von einem „mixed pain“.
Die Differenzierung akuter und chronischer Schmerzen orientiert sich am zeitlichen Zusammenhang der Schmerzen und dem Verlauf der verursachenden Erkrankung. Definitions-
gemäß spricht man von chronischen Schmerzen bei anhaltenden oder wiederkehrenden Schmerzen, die über einen Zeitraum von drei Monaten bestehen. Die normale Heilungszeit ist überschritten, die akute Warnfunktion der physiologischen
Nozizeption ging verloren.
Chronische Schmerzen
Die ICD 11-Klassifizierung „Chronischer Schmerz“ umfasst die häufigsten klinisch relevanten Erkrankungen und definiert eine duale Einteilung: chronische primäre Schmerzen und chronische sekundäre Schmerzen, die aus insgesamt sieben Hauptdiagnosen bestehen: (1) chronische primäre Schmerzen, (2) chronische krebsassoziierte Schmerzen (3) chronische posttraumatische und postoperative Schmerzen, (4) chronische neuropathische Schmerzen, (5) chronische sekundäre Kopf- und orofaziale Schmerzen, (6) chronische sekundäre viszerale Schmerzen und (7) chronische sekundäre muskuloskelettale Schmerzen. Für jede Hauptdiagnose stehen zusätzlich spezifische Unterdiagnosen auf weiteren Ebenen zur Verfügung. Mit dieser neuen Definition wird
der chronische Schmerz, als eine eigenständige Erkrankung und nicht nur das Begleitsymptom anderer Krankheiten, dargestellt.
Chronische primäre Schmerzen sind mit einer erheblichen emotionalen Belastung oder erheblicher funktioneller Beeinträchtigung, wie Einschränkungen von Aktivitäten des täglichen Lebens und sozialer Teilhabe verbunden und können nicht besser durch eine andere chronische Schmerzerkrankung erklärt werden. Chronische primäre Schmerzen sind multifaktoriell. Biologische, psychologische und soziale Faktoren tragen zum Schmerzsyndrom bei.
Auf Grund der Häufigkeit und Alltagsrelevanz werden in Folge der neuropathische Schmerz und der nicht-spezifische Kreuzschmerz genauer beschrieben.
Neuropathischer Schmerz
Schätzungen zufolge liegt die weltweite Prävalenz von neuro-
pathischen Schmerzen zwischen 6,9 und zehn Prozent. Die diesen Störungen zugrundeliegende Ätiologie ist unterschiedlich; so kann die Ursache eine Stoffwechselstörung, wie beispielsweise die diabetische Neuropathie, eine neurodegenerative, vaskuläre oder autoimmune Erkrankung, ein Tumor, ein Trauma, eine Infektion, die Einwirkung von Toxinen oder auch eine Erbkrankheit sein. Die Suche nach der Ätiologie der Neuro-
pathie beinhaltet neben einer umfassenden körperlichen und neurologischen Untersuchung auch eine ausführliche Anam-nese. Im Rahmen der Anamnese soll der Beginn, die Lokalisa-tion und die Verteilung des Schmerzes und ein möglicher Zusammenhang mit einem Trauma geklärt werden.
Diagnose des neuropathischen Schmerzes
Um die Diagnose eines neuropathischen Schmerzes zu stellen, sind drei Schritte notwendig. Die Ausbreitung des Schmerzes muss zunächst neuroanatomisch plausibel sein, zum Beispiel einem Nerv oder einer Radix zuordenbar sein. Im zweiten Schritt gilt es ein Defizit in Form von negativen oder positiven Symptomen im Bereich des sensorischen Systems festzustellen. Hierzu gehören eine Allodynie – Schmerzempfinden auf leichte, normalerweise nicht-schmerzhafte Berührung, eine
Hyperalgesie –, eine unpassend hohe Schmerzintensität auf einen leichten Schmerzreiz oder eine Parästhesie – nicht-schmerzhafte Missempfindung auf der Haut – meist als Kribbeln oder Ameisenlaufen beschrieben. Eine verminderte oder fehlende Empfindung auf Berührung, Temperaturreize oder Schmerzreize kann ebenso ein Zeichen einer Neuropathie sein. Zu einer vollständigen Abklärung neuropathischer Schmerzen gehören Untersuchungen, wie bildgebende Verfahren (CT, MRT), elektrophysiologische Untersuchungen (EMG, NLG), eine Lumbalpunktion, eine quantitativ sensorische Testung, ein Drei-Phasen-Skelettszintigramm, eine Hautbiopsie sowie
diverse Laboruntersuchungen.
Neuropathische Schmerzen können als Dauerschmerzen oder einschießende Schmerzattacken auftreten und werden seitens der Patienten meistens als brennend, stechend oder elektrisierend beschrieben. Screeningtools erleichtern die Diagnose eines neuropathischen Schmerzes, die am häufigsten verwendeten Fragebögen sind der DN4, der painDETECT sowie der LANSS-Fragebogen. Mit dem „Neuropathic Pain Symptom Inventory“ und der „Neuropathic Pain Scale“ kann das Ausmaß der neuropathischen Komponente an einem chronischen Schmerzsyndrom abgeschätzt werden.
Häufige Ursachen
Diabetes mellitus und Alkohol sind für circa 60 Prozent der
neuropathischen Syndrome verantwortlich. Es gibt unterschiedliche Klassifikationen; die Einteilung der diabetischen Neuro-
pathie kann nach dem Verteilungsmuster erfolgen. Die häufigste Form ist die distal-symmetrische Neuropathie. Sie ist durch eine socken- und handschuhförmige Sensibilitätsstörung gekennzeichnet. Weitere Verteilungsmuster sind eine Mononeuropathie, eine Mononeuropathie multiplex oder eine Plexo- und Radikulopathie wie sie bei der diabetischen Amyo-trophie vorkommen können. Eine Beteiligung der Hirnnerven ist ebenso möglich; zu erwähnen sei hier zum Beispiel die
Okulomotoriusparese.
Die Dauer und die Ausprägung der Hyperglykämie sind für die Prävalenz der Neuropathie entscheidend. Laut Datenlage entwickeln im Verlauf bis zu 50 Prozent der Patienten mit einem Diabetes mellitus eine Polyneuropathie, circa 20 Prozent leiden unter einer schmerzhaften Neuropathie-Form. Die Bedeutung der Glukosekontrolle für die Verlangsamung des Fortschreitens einer Neuropathie variieren je nach Diabetestyp. In einer Metaanalyse, die 1.228 Patienten eingeschlossen hat, konnte die Inzidenz einer Neuropathie nach fünf Jahren bei Diabetes mellitus Typ 1 durch diese Maßnahme von 17 auf acht Prozent gesenkt werden. Eine ähnliche Untersuchung bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zeigte eine statistisch nicht-signifikante Reduktion der Neuropathie von etwa 0,6 Prozent pro Jahr. Eine Reduktion der allgemeinen kardiovaskulären Risikofaktoren, Lebensstilmodifikation, eine Gewichtsreduktion verbunden mit Ausdauertraining zeigten in einer Metaanalyse eine Verbesserung sämtlicher Symptome und Alltagsprobleme, die mit einer Neuropathie verbunden sind. Die verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass chirurgisch-bariatrische Behandlungen von Typ-2-Diabetes die Inzidenz von Neuropathien und anderen mikrovaskulären Komplikationen zu reduzieren scheinen. In einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie mit über 15.000 adipösen Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes war eine bariatrische Opera-tion nach fünf Jahren mit einer geringeren Rate an Neuropathien verbunden (sieben versus 21 Prozent). Die bariatrische Chirurgie kann jedoch mit Komplikationen verbunden sein.
Metformin, das häufig im Rahmen einer anti-diabetischen Therapie verschrieben wird, kann nach fünf Jahren bei bis zu 20 Prozent der Patienten einen Vitamin-B12-Mangel hervor-
rufen. Es sollten somit Patienten mit einer Verschlechterung der
Neuropathie unter Metformin auf einen B12-Mangel untersucht werden. Zusätzlich zu beachten ist das sogenannte ‚treatment-induced neuropathy of diabetes‘ (TIND), eine spezielle Form der schmerzhaften ‚small-fiber´-Neuropathie, die durch eine schnelle Korrektur des Hba1c-Wertes auftreten kann. Als Risiko-faktor gilt die Reduktion von mehr als zwei Prozentpunkten
innerhalb von drei Monaten.
Eine weitere häufige Ursache neuropathischer Schmerzen ist die Herpes-Zoster-Neuritis. Schätzungen zufolge erkranken 30 Prozent der Menschen in den Vereinigten Staaten im Laufe
ihres Lebens an einer Herpes-Zoster-Infektion. Die Inzidenzraten steigen mit zunehmendem Alter an; so müssen ungefähr die Hälfte der Menschen, die das 85. Lebensjahr erreichen, mit einer Herpes-
Zoster-Infektion rechnen. Neben dem Alter als größten Risikofaktor, gelten Patienten mit einer
Immunsuppression, HIV-Infektion und Autoimmunerkrankungen wie etwa der Rheumatoiden Arthritis als gefährdet. Typische klinische Anzeichen einer rezenten Zoster-Infektion sind brennende oder stechende Schmerzen, Hauteffloreszenzen, Sensibilitätsstörungen und selten motorische Ausfälle. Weniger als 20 Prozent der Patienten, die Effloreszenzen entwickeln, haben erhebliche systemische Symp-tome wie Kopfschmerzen, Fieber, Unwohlsein oder Müdigkeit. Ungefähr 75 Prozent der Patienten haben Prodromalschmerzen, die den Hauteffloreszenzen im betroffenen Dermatom zwei bis drei Tage vorausgehen. Bevor sich ein Hautausschlag entwickelt, wird der Prodromalschmerz je nach betroffenem Dermatom häufig als eine andere Krankheit wie beispielsweise eine Angina pectoris, Cholezystitis, Blinddarmentzündung, Folgen einer Bandscheibenerkrankung oder Nierenkolik fehlinterpretiert.
Die häufigste Komplikation ist die postherpetische Neuralgie. Diese wird als starker Schmerz definiert, der 90 Tage nach Beginn der Infektion anhält oder wieder auftritt. Begleitende sensorische Symptome wie ein Taubheitsgefühl, Dysästhesien, Pruritus und Allodynie können im betroffenen Dermatom auftreten. Etwa 15 Prozent aller Erkrankten sind betroffen. Risikofaktoren für die Entstehung sind ein Alter über 60 Jahre, die Schmerzintensität in der Akutphase der Infektion sowie der Schweregrad der Effloreszenzen. Eine konsequente Schmerztherapie und eine frühe antivirale Therapie sind entscheidend in der Behandlung einer akuten Zoster-Neuralgie. Eine aktive Immunisierung reduziert sowohl die Inzidenz der Erkrankung als auch die Ausprägung der Zoster-Neuritis. Es stehen ein rekombinanter Zoster-Impfstoff und ein Lebend-impfstoff zur Verfügung. Der rekombinante Impfstoff reduzierte in Studien die Infektionsrate innerhalb von drei Jahren um 97 Prozent, der Lebendimpfstoff um 50 Prozent. In der rekombinanten Impfstoffgruppe wurde keine postherpetische Neuralgie berichtet, in der Plazebogruppe waren es etwa neun Prozent der Patienten. In der rekombinanten Impfstoffgruppe zeigten sich Nebenwirkungen wie Myalgie, Fieber und Kopfschmerz, bildeten sich jedoch nach kurzer Zeit bei den meis-ten Patienten vollständig zurück. Die Inzidenz für das Auftreten eines Guillain-Barré-Syndroms lag bei drei Fällen auf eine Million Impfanwendungen. Es wird daher der rekombinante Zoster-Impfstoff Patienten mit einer GBS-Anamnese nicht empfohlen.
Die Behandlung der postherpetischen Neuralgie kann sich schwierig gestalten. Einige Patienten benötigen eine multi-
modale Therapie, um die Symptome zu lindern. Die Auswahl der Therapie sollte individuell nach Schweregrad und Lokalisation der Schmerzen, Komorbiditäten, Nebenwirkungsprofil von Medikamenten sowie Patientenwerten und -präferenzen erfolgen. Die Schmerzen können chronisch sein; häufig ist eine Langzeittherapie erforderlich.
Pharmakologische Therapie
Das Therapiekonzept richtet sich nach der Ätiologie des Schmerzes. Ein komprimierter N. medianus im Karpaltunnel muss möglicherweise durch eine Operation entlastet werden. Eine symptomatische Therapie kann bei einer Post-zoster-Neuralgie notwendig sein. Eine Kombination aus ursächlicher und symptomatischer Therapie wird beispielsweise im Rahmen einer diabetischen Polyneuropathie angewendet. Sehr wichtig für den Erfolg ist eine gut erklärende, ausführliche und empathische Kommunikation mit dem Patienten. Als ein initiales Gesprächsziel ist den Patienten zu vermitteln, dass Schmerzen auch nach einem abgeschlossenen Heilungsprozess anhalten können. Gut informierte und aufgeklärte Patienten haben eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit.
Bis zu 47 Prozent der Patienten mit neuropathischen Schmerzen bekommen fälschlicherweise Nicht-Opioid-Analgetika (zum Beispiel Nichtsteroidale Antirheumatika, NSAR) verschrieben. Diese Medikamente sind beim neuropathischen Schmerz nicht wirksam, können ernsthafte Langzeitnebenwirkungen haben und sollen daher nicht eingesetzt werden.
Das Ziel der pharmakologischen Therapie ist eine Schmerzreduktion von mindestens 30 bis 50 Prozent. Die Lebens- und Schlafqualität soll verbessert werden und bei berufstätigen
Patienten soll eine Rückführung in den Arbeitsprozess im Fokus stehen. Die pharmakologische Behandlung basiert auf Leit-
linien-Empfehlungen und sieht als Erstlinientherapie Gabapentinoide, SNRI (Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) sowie trizyklische Antidepressiva vor.
Gabapentin ist für die Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen zugelassen. Die empfohlene Dosierung beträgt 1.200 bis 2.400 mg/d, aufgeteilt auf drei Gaben. Trotz guter Verträglichkeit können Nebenwirkungen wie Schwindel, Schläfrigkeit, Gangstörung und periphere Ödeme auftreten. Eine rezente Cochrane-Metaanalyse zur Wirksamkeit von Gabapentin bei chronischen neuropathischen Schmerzen zeigt eine signifikante Schmerzreduktion von über 30 Prozent bei Patienten mit einer postherpetischen Neuralgie und mit einer schmerzhaften diabetischen Neuropathie (NNT 6,3). Für Pregabalin konnte eine ‚number needed to treat‘ von 7,7 bei Patienten mit postherpetischer Neuralgie, schmerzhafter Polyneuropathie, Schmerzen nach peripherer Nervenverletzung und zentralen Schmerzen aufgrund eines Querschnittsyndroms nach einem Schlaganfall sowie ein besseres Ansprechen bei einer Tagesdosis von 600mg im Vergleich zu 300mg gezeigt werden. Nebenwirkungen von Pregabalin ähneln denen von Gabapentin. Pregabalin und Gabapentin haben bei höheren Dosierungen ein deutliches Abhängigkeitspotential, so dass eine Kombination mit Opioiden nicht oder unter Vorsicht empfohlen wird. Carbamazepin ist das Medikament der ersten Wahl für die Behandlung einer Trigeminusneuralgie. Sein Nebenwirkungsprofil ist ungünstig, zusätzlich kann Carbamazepin die Arzneimittelwirkung anderer Substanzen beeinträchtigen. Die Startdosis beträgt 100 bis 200 mg in retardierter Form, die Erhaltungsdosis bei 600 bis 1.200 mg/d.
Trizyklische Antidepressiva werden als Mittel der ersten Wahl in der Behandlung neuropathischer Schmerzen verwendet. In zahlreichen Studien zeigen sie bei der schmerzhaften diabetischen Neuropathie, der postzosterischen Neuralgie, bei partiellen Nervenläsionen und bei zentralen Schmerzsyndromen eine Überlegenheit gegenüber Placebogaben (NNT 3,6). Die wirksame und tolerierbare Dosis von Amitriptylin beträgt zwischen 25 bis 75 mg/d, meistens als Einzeldosis. Aufgrund der sedierenden Wirkung kann Amitriptylin insbesondere bei Einschlafstörungen aufgrund neuropathischer Schmerzen hilfreich sein. Nebenwirkungen wie ein sedierender Effekt, Mundtrockenheit, Schwindel, Obstipation, Gewichtszunahme, Blasenentleerungsstörung und AV-Block werden beschrieben (Cave: Glaukom). Amitriptylin kann sowohl das Delir-Risiko als auch das Demenz-Risiko erhöhen; daher soll bei älteren Menschen Amitriptylin mit Vorsicht gegeben werden. CYP2D6-Inhibitoren wie Duloxetin oder SSRI können den Amitriptylin-Spiegel deutlich erhöhen, toxische Effekte von Amitriptylin wären damit möglich. Eine entsprechende Medikamentenkombination soll aus diesem Grund vermieden werden. Außerdem ist die Gefahr eines serotonergen Syndroms erhöht.
Für Duloxetin konnte in Studien die Wirksamkeit vor allem bei der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie und der Chemotherapie-induzierten Neuropathie nachgewiesen werden. Auch zentral-neuropathische Schmerzen, zum Beispiel im Rahmen der multiplen Sklerose waren unter Duloxetin besser. Die Startdosis wird mit 30 mg morgens angegeben. Nach sieben bis 14 Tagen kann eine Steigerung auf die Zieldosis von 60 mg (bis 120 mg) als Einmaldosis morgens erfolgen. Schwere Nebenwirkungen sind selten; Übelkeit und Erbrechen sind vor allem in der ersten Behandlungswoche möglich. Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Obstipation, Blutdrucksteigerung, Schlaflosigkeit und Schwindel sind weitere mögliche Nebenwirkungen. Duloxetin soll nicht mit MAO-Hemmern, Johanniskraut oder serotonerg-wirksamen Substanzen kombiniert werden. Eine Kombination mit Warfarin kann vermehrt zu Blutungen führen. Die Gabe von SSRI in Kombination mit Warfarin oder mit NSAR scheint noch gefährlicher zu sein.
Zweitlinienempfehlungen und Behandlungen der dritten Wahl beinhalten die Gabe von mittelstarken und starken Opioiden sowie Cannabinoiden. Unerwünschte Nebenwirkungen, Toleranzentwicklung sowie komorbide Suchterkrankungen können die Anwendung limitieren. Laut den DGN-Leitlinien zeigt sich für Hydromorphon, Morphin und Fentanyl keine ausreichende oder laut Studienlage unklare Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen. In einem Übersichtsartikel wurde die Gabe von Tramadol, Oxycodon, Buprenorphin und Tapentadol beim neuro-pathischen Schmerz besser bewertet und empfohlen. Aus diesem Grund empfiehlt die DGN-Leitlinie die Gabe von stark- und schwachwirksamen Opioiden zur Therapie jeglicher neuropathischer Schmerzursachen nur als Mittel dritter Wahl. Die Ergebnisse der Therapie sollten nach vier Wochen und nach spätestens drei Monaten evaluiert werden und bei nicht erreichten Therapiezielen sollten Opioide langsam wieder ausgeschlichen werden.
In Einzelfällen kann bei Versagen anderer Schmerztherapien der Einsatz von Cannabinoiden off-label (im Rahmen eines multimodalen Schmerztherapiekonzepts) erwogen werden. Zur Verfügung stehen Dronabinol (teilsynthetisch hergestelltes Tetra-hydrocannabinol-THC), Nabiximols, Nabilon und Cannabidiol.
Eine Monotherapie führt zu einer deutlichen Schmerzreduktion (zum Beispiel >50 Prozent) in weniger als 50 Prozent der Patienten, so dass eine Kombination aus zwei oder mehreren Medikamenten notwendig sein kann. Die Studienlage zur Kombina-tionstherapie ist jedoch sehr begrenzt.
Bei lokalisierten Schmerzarealen kann eine topische Therapie als Therapie der ersten Wahl oder als add-on zu einer oralen Therapie verwendet werden. Zur Verfügung stehen Lidocain oder Capsaicin-Pflaster. Das Lidocain-Pflaster ist zugelassen für die Behandlung der postherpetischen Neuralgie; das Capsaicin-Pflaster kann bei allen peripheren neuropathischen Schmerzsyndromen angewendet werden. Es können bis zu drei Lidocain-700mg-Pflaster im Schmerzareal auf die intakte, nicht gereizte, abgeheilte Haut über 12-Stunden/d appliziert werden. Die Anwendungsdauer des Capsaicin-8%-Pflasters (179 mg) beträgt 30 bis 60 Minuten; es können bis zu vier Pflaster gleichzeitig geklebt werden. Die Behandlung kann nach 90 Tagen wiederholt werden; eine zweite oder dritte Gabe kann, bei initial fehlender Wirksamkeit, erfolgreich sein. Eine Pinprick- und Hitze-Hyperalgesie oder Allodynie im betroffenen Areal deutet auf ein gutes Ansprechen auf die topische Therapie hin, eine komplette Anästhesie auf ein Nichtansprechen.
Die Wirksamkeit von Botulinum-Neurotoxin – BoNT (vorwiegend wurde Onabotulinumtoxin Typ A verwendet) wurde in vielen kleineren, zum Teil gut durchgeführten Studien, bewiesen. BoNT kann als Therapie der zweiten Wahl (bei der Trigeminusneuralgie) oder der dritten Wahl bei ausgewählten Patienten mit verschiedenen neuropathischen Schmerzsyndromen angeboten werden, die number-needed-to-treat betrug je nach Studie zwischen 1,9 und sieben. Das Präparat wurde subkutan oder intrakutan bei verschiedenen NS-Syndromen verwendet.
Ambroxol 20%-ige Creme ist ein Natriumkanalblocker, circa zwanzig-mal potenter als Lidocain und kann topisch ange-
wendet werden. Die Creme wird in ausgewählten Apotheken zubereitet.
Zentral-neuropathischer Schmerz
Ätiologisch sind hier v.a. Schmerzen bei Läsionen der zentralen Neuronen im Rahmen einer multiplen Sklerose, nach einem Schlaganfall oder bei traumatischen Rückenmarksläsionen gemeint. Die Studien zu diesem Thema sind selten, die Fallzahlen meistens niedrig. Amitriptylin und Lamotrigin können v.a. nach ischämischen Läsionen, Gabapentinoide, Amitriptylin und
Lamotrigin nach traumatischen Läsionen, Duloxetin und Cannabinoide bei MS gegeben werden.
Auch nicht-medikamentöse Therapien in der Behandlung
neuropathischer Schmerzen, wie Physiotherapie, Ergotherapie, TENS-Behandlungen, Hochtontherapien uvm. kommen mit
unterschiedlichem Erfolg zum Einsatz.
Kreuzschmerz
Schätzungsweise leiden bis zu 84 Prozent der Erwachsenen irgendwann in ihrem Leben unter Kreuzschmerzen. Bei den meisten Patienten sind Episoden von Kreuzschmerzen selbstlimitierend. Kreuzschmerzen, die über die akute Phase (vier Wochen) hinaus andauern, werden als subakut bezeichnet (die zwischen vier und zwölf Wochen anhalten) und können sich in der Folge zu chronischen Kreuzschmerzen entwickeln (die länger als zwölf Wochen anhalten). Die Prävalenz wurde anhand von Umfragen geschätzt, in einer systematischen Übersichts-
arbeit aus dem Jahr 2012 betrug die weltweite Punktprävalenz aktivitätseinschränkender Schmerzen im unteren Rücken-bereich, die länger als einen Tag anhalten, zwölf Prozent und die Ein-Monats-Prävalenz 23 Prozent. Zu den Risikofaktoren gehören Rauchen, Adipositas, Alter, weibliches Geschlecht, körperlich anstrengende Arbeit, sitzende Arbeit, geringer Bildungsstand, Arbeitsunzufriedenheit und psychologische Faktoren wie Somatisierungsstörung und Angstzustände und Depressionen. Letztere werden „yellow flags“ genannt und spielen eine große Rolle bei der Entstehung von chronischen Kreuzschmerzen. Sie verursachen sehr hohe sozioökonomische Kosten, laut einer
deutschen Studie nahezu 50 Milliarden Euro/Jahr. Kreuzschmerzen können in nicht-spezifische (circa 85 Prozent) und spezifische (circa 15 Prozent) unterteilt werden, wobei viele ‚nicht-spezifische‘ Kreuzschmerzen durch klinische Expertise, sorgfältige Anam-nese und präzise körperliche Untersuchung in einen spezifischen Kreuzschmerz ‚umgewandelt‘ werden können. Als Beispiele gelten hier myofasziale Schmerzsyndrome, Iliosakralgelenk-Blockaden, Facetten-Syndrom usw. Die Prognose der nicht-spezifischen Kreuzschmerzen ist in der Regel gut, viele Patienten präsentieren sich auch ohne Therapie nach einigen Wochen deutlich schmerzgelindert oder sogar beschwerdefrei.
Red flags
Obwohl nicht-spezifische Kreuzschmerzen etwa 85 Prozent der Rückenschmerzen ausmachen, können die übrigen Patienten neurologische Beeinträchtigungen oder schwere Grunderkrankungen aufweisen, die eine rasche und genaue Diagnose erfordern. Weniger als ein Prozent der Patienten, die sich im primären Versorgungsbereich vorstellen, haben eine gefährliche Ätiologie (Cauda-equina, Metastase oder spinale Infektion). Die meisten von ihnen weisen Risikofaktoren oder Symptome auf, die anamnestisch erfragt werden müssen und erkannt werden sollten. Die Krankheitsbilder mit dringendem Behandlungsbedarf und den dazugehörigen ‚red flags‘ sind in Tab. 2 dargestellt.
Diagnostik
Die Bestimmung der Entzündungsparameter kann vor allem bei Verdacht auf Malignität oder auf eine entzündliche Ursache hilfreich sein. Ohne Vorhandensein von „red flags“ wird eine Blutuntersuchung in den ersten vier Wochen nach Beginn der Kreuzschmerzsymptomatik in den meisten Leitlinien jedoch nicht empfohlen. Laut Studien ist eine bildgebende Abklärung bei fehlenden „red flags“ und einer Schmerzdauer von weniger als vier Wochen nicht mit einem besseren Outcome verbunden. Eine Bildgebung sollte daher nur bei Patienten mit relevanten neurologischen Defiziten sowie bei jenen erfolgen, in deren Anamnese und klinischer Untersuchung sich Hinweise auf eine gefährliche Erkrankung finden. Eine Bildgebung soll nach vier Wochen bei fehlender Besserung auf eine vorherige leitlinienkonforme konservative Therapie erwogen werden. Wenn gefährliche Verläufe bildgebend ausgeschlossen wurden, soll eine Wiederholung der Bildgebung ohne relevante Änderung der
klinischen Symptomatik in der Regel nicht erfolgen.
Therapie
Ziel in der Behandlung von Patienten mit akuten Schmerzen im unteren Rückenbereich ist eine kurzfristige Linderung der Symptome und eine rasche Verbesserung funktioneller Defizite. Patienen sollen über die Bedeutung einer aktiven Bewegungstherapie aufgeklärt werden, eine Bettruhe ist zu vermeiden.
Patienten, die mit Bettruhe und Inaktivität behandelt werden, haben, laut Studien, mehr Schmerzen und erholen sich langsamer als aktive, ambulante Patienten. Eine Metaanalyse, die 13 randomisierte Studien und drei nicht randomisierte Studien umfasste, zeigte, dass körperliche Betätigung das relative Risiko für die Entwicklung von unteren Rückenschmerzen um 33 Prozent senkte. Sowohl die Schmerzintensität als auch die rückenbedingten Einschränkungen waren in der Übungsgruppe geringer. Physikalische Behandlungen wie Stromtherapie, Wärme und Massage können unterstützend wirken. Akupunktur, Entspannungsverfahren, Rückenschule und manuelle Therapie können laut Leitlinie ebenfalls empfohlen werden. Verhaltenstherapien kommen sowohl bei subakuten als auch bei chronischen Schmerzen zum Einsatz. Für chronische Schmerzen haben sich intensive multimodale Therapieprogramme bewährt. Für Patienten, die eine Pharmakotherapie bevorzugen oder bei denen nicht-pharmakologische Ansätze unzureichend sind, soll konsequent – jedoch so kurz wie möglich – pharmakotherapeutisch behandelt werden. Tab. 3 fasst die sinnvolle medikamentöse Therapie zusammen. Invasive Methoden wie perkutane Therapieverfahren können laut österreichischer Leitlinie in Einzelfällen, vor allem für diagnostische Zwecke, verwendet werden. ◉
*) Priv. Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Salzkammergutklinikum Vöcklabruck, Abteilung für Neurologie, Dr.-Wilhelm-Bock-
Straße 1, 4840 Vöcklabruck; Tel.: 07672/700 25700,
E-Mail: nenad.mitrovic@ooeg.at
Lecture Board
Univ. Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc; Klinikum Klagenfurt,
Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Univ. Prof. Dr. Andreas Sandner-Kiesling;
Medizinische Universität Graz, Klinische Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin 2
Ärztlicher Fortbildungsanbieter
Salzkammergutklinikum Vöcklabruck, Abteilung für Neurologie
eine Herausforderung
relevanz stehen der neuro-pathische Schmerz und der unspezifische Kreuzschmerz im Mittelpunkt.
Nenad Mitrovic*
Die Therapieempfehlungen werden wie folgt definiert:
Medikamentöse Therapie
Antirheumatika (NSAR)
(Nichtbenzodiazepine)
thetika und Mischinfusionen
und Glukokortikoide
Adaptiert nach „Österreichische Leitlinie Kreuzschmerzen 2018“
Kreuzschmerz mit dringendem Behandlungsbedarf („red flags“)